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Gemüsegarten

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Zurück in die Zukunft – Alte Sorten auf den Teller

Die biologische Artenvielfalt nimmt stetig ab, so auch die Anzahl an Nutzpflanzen-Sorten. Erschreckenderweise sind seit 1900 ca. 3/4 aller landwirtschaftlich genutzten Obst- und Gemüsesorten von unserem Speiseplan verschwunden, da sie sich nicht optimal für den Erwerbsanbau eignen. Die Hauptgründe dafür sind, dass diese Sorten zu wenig Erträge einbringen oder nicht maschinell verarbeitet werden können. Der Geschmack und die äußerliche Vielfalt waren bei dieser Entwicklung leider nebensächlich. Themen wie Klimawandel und Gentechnik spielen beim Verschwinden vieler Sorten auch böse mit, wobei gerade für die Reaktion auf klimatische Veränderungen (intensiveres Sonnenlicht, Trockenheit, Starkregen) die Sortenvielfalt eine bedeutende Rolle spielen wird.

Alte Sorten retten

Natürlich geht es hier nicht nur um unseren Genuss und die Abwechslung auf unseren Tellern, sondern vielmehr darum, die Sorten für die nächsten Generationen zu bewahren und fit für die klimatische Zukunft zu sein. Es laufen einige wertvolle Projekte, alte Sorten zu archivieren, aber am besten überleben diese Sorten, wenn sie den Weg zurück in unsere Gärten und auf unsere Teller finden und somit zumindest nicht für den Freizeitgärtner zur Gänze verloren gehen.

Tomaten: der Rockstar unter den Gemüsesorten

Wir beginnen mit den Tomaten. Sie sind immerhin das beliebtestes Gemüse in Deutschland. An dieser wunderbaren Frucht lässt sich sehr gut zeigen, wie es zu dem drastischen Verschwinden so vieler Sorten kommen konnte. Mit Hilfe der “Der praktische Gartenratgeber” -Umfrage aus der November-Ausgabe 2023 starten wir mit den ersten Sorten der Vielfaltsmacher-Raritäten. Herrlicher Geschmack, vielfältige Optik und eine lange Geschichte garantiert. Genauere Informationen mit Sortenbeschreibungen, Bildern und Bestellmöglichkeiten finden sie hier.

Die geschmackvolle Tomate und ihr Kampf ums Überleben

Schon im 16. Jh. fand die Tomate ihren Weg von Mittelamerika nach Südeuropa und wurde im späten 19. Jh. vor allem in Süddeutschland bekannt. Besonders beliebt wurde die Frucht im Lauf der Zeit wegen des vielfältigen Geschmacks und ihrem abwechslungsreichen Aussehen. Während der beiden Weltkriege und der Zwischenkriegszeit wurde sehr viel Eigenanbau betrieben, tausende Sorten verbreiteten sich und hielten Einzug in die Hausgärten.

Die ersten Zuchtziele

In den 1930ern wurden Tomaten erstmals kommerziell angebaut. Mit dem Handel kamen erste Herausforderungen wie z. B. das Aufplatzen beim Transport. Die ersten Zuchtziele wurden definiert und gleichzeitig die ersten Sorten aussortiert. Mit dem Erwerbsanbau auf großen Flächen wurden die Landwirte mit Krankheiten, wie Pilzen und Schäden durch Regen und Hagel konfrontiert. Um das in den Griff zu bekommen, wurden krankheitsresistentere und wetterfestere Sorten bevorzugt, weitere Selektionen fanden statt. Nun wurden, auch um den Ertrag durch längere Erntephasen zu steigern, die ersten Glashäuser gebaut. Der Anspruch war schon lange nicht mehr nur die Druckfestigkeit. Im Glashaus konnte der Wasserbedarf, die Temperatur, ja sogar der CO2 Gehalt reguliert und damit die Saison deutlich verlängert werden.

Geschmacklose Massenware

In den 60ern erlebte die Tomate einen richtigen Hype. Um die große Nachfrage zu befriedigen, begann eine Reise der Früchte quer durch Europa. Die neuesten Züchtungsziele waren plötzlich eine längere Haltbarkeit und Transportfähigkeit, mit der Konsequenz, dass wieder mehr Sorten als nicht geeignet aussortiert wurden. Die Zahl der eingetragenen Tomatensorten sank damit rapide. Als größter Lieferant etablierte sich Holland. Dort wurden Mitte der 70er erstmals Tomaten ohne Erde, also in Nährlösungen auf Steinwolle angebaut. Immer mehr Faktoren wurde vom Menschen kontrolliert und die wenigen Sorten, die da noch mitspielten, wurden zur absoluten Massenware. Alles wurde in Richtung Profit optimiert und dabei völlig der Geschmack vergessen. Die Erfüllung all dieser Zuchtziele forderte einen  ohen Preis, es gab immer mehr Tomaten ohne jeden Geschmack.

Die Anti-Matschtomate

Den absoluten Tiefpunkt kann man 1994 festmachen. Damals wurde die erste gentechnisch veränderte  Tomate in den USA auf den Markt gebracht. Die Sorte wurde so verändert, dass sie nicht mehr matschig wurde, auch im reifen Zustand steinhart war und von Maschinen geerntet werden konnte. In Monokultur wurden nicht nur  Böden großflächig zerstört, nein, es wurde auch eine absolut geschmacklose Tomate kreiert. Erste Proteste von Konsumenten in Europa wurden laut. Es begann eine Wende im Konsum, denn ab diesem Punkt wollten immer weniger Leute diese wässrigen, geschmacklosen Früchte essen.

Ein Umdenken beginnt

Seit den 1990ern wurde viel Energie in das Zurückholen des herrlichen Geschmackes der Paradiesfrüchte gesteckt. Man erkannte, dass auch der Geschmack ein wichtiges Zuchtziel ist und die Art des Anbaues dabei eine große Rolle spielt. Seit dieser dunklen Stunde für die Tomate gibt es auch im erwerbsmäßigen Anbau viele positive Entwicklungen und die eingetragene Anzahl an Sorten hat sich seit Mitte der 1980er verfünffacht. Wir können außerdem davon ausgehen, dass es ungefähr noch einmal so viele Sorten gibt, die im Freizeitgarten erhalten werden. Leider ist wegen der Globalisierung trotzdem immer noch vieles im Argen im Tomatenanbau und die größten Produzenten, wie China und die USA, überschwemmen die Welt mit Gentomaten. Aber im Endeffekt entscheidet der Konsument, also Sie und ich.

Geschmacksgarantie?

Wie kann ich nun auf Nummer Sicher gehen? Greifen Sie zu alten Sorten, die haben sicher Geschmack, denn da hat der Mensch nichts rumoptimiert.
Mal zuckersüß, mal mehr Säure, mehr Fleisch oder mehr Saft, rund, oval, winzig klein bis riesig groß, gestreift, gelb, grün, orange und natürlich die verschiedensten Rottöne – denn für die Natur sind vielfältiges Aussehen, intensiver Geruch und herrlicher Geschmack sowie das Gedeihen an unterschiedlichen Standorten die einzigen »Zuchtziele«.

Simona Nitschinger

Tomatenfeld
Simona Nitschinger