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VielfaltsMacher

Mein Wilder Meter

Die Mehrheit der Deutschen lebt in Städten und hat keinen Garten. Aber viele Wohnungen sind mit einem Balkon ausgestattet. Auch auf diesem kleinen Raum kann man eine Vielfaltsmacherin oder ein Vielfaltsmacher werden und Insekten, Vögel und andere Kleinlebewesen fördern. Ich möchte hier gerne meinen Wildpflanzen-Balkon vorstellen, den ich bereits im Jahr 2013 mit einheimischen Wildpflanzen zu einem insektenfreundlichen Kleinst-Naturgarten verwandelt habe. Ich nenne ihn mein „Wilder Meter“.

Drei Quadratmeter Naturgarten im fünften Stock

Ich wohne mit meinem Mann im Zentrum von München im fünften Stock und ich habe das Glück, dass zu unserer Wohnung sogar zwei Balkone gehören. Von den zehn Quadratmetern Gesamtbalkonfläche kann ich etwa drei Quadratmeter als Anbaufläche in Blumenkästen, Töpfen und größeren Kübeln nutzen. Die ersten Jahre nach dem Einzug habe ich die Balkone konventionell mit Zierpflanzen aus dem Gartencenter begrünt. Als eine Mauerbiene im April 2013 in ein Röhrchen unseres Liegestuhls nistete, fing ich an, mich mit Wildbienen zu beschäftigten. Ich lernte, dass die typische bayerische Balkonbepflanzung mit dauerblühenden Geranien und Petunien zwar schön bunt und unkompliziert ist, aber unseren Bienen – ähnlich einer Plastikblume – keine Nahrung bietet. Ich verbannte daraufhin die ökologisch wertlosen Blumen, die nur auf menschliche Bedürfnisse hin gezüchtet sind, und pflanzte einheimische Wildpflanzen, die unseren Wildbienen und anderen Insekten Pollen und Nektar zur Verfügung stellen. Inzwischen gärtnere ich bereits im achten Jahr mit Wildpflanzen in Töpfen und Kästen. Auch Nisthilfen für Wildbienen sind auf beiden Balkonen im Angebot. Es summt und brummt, krabbelt und fliegt von März bis November.

Blütenvielfalt

Auf beiden Balkonen wachsen größtenteils einheimische Wildpflanzen oder Sorten von Wildpflanzen. Die Bepflanzung setzt sich zusammen aus frühblühenden, sommerblühenden und herbstblühenden Zwiebelpflanzen, Stauden mit unterschiedlichen Blühzeiten, Ansaaten einjähriger Sommerblumen und Wildem Wein zur Fassadenbegrünung und als Beerenlieferant für Amseln im Herbst. Pro Saison gibt es ein durchgehendes Blütenangebot von Ende Februar bis Oktober oder November, je nach Witterung. Es blühen jedes Jahr etwa 80 verschiedene Arten bzw. Sorten von A wie Acker-Senf bis Z wie Zwerg-Glockenblume. Ich achte auch darauf unterschiedliche Blütenformen anzubieten.

100 dokumentierte Arten von Balkongästen

Ich habe mich über jedes Tier gefreut, das ich mit meinen neuen Blühpflanzen anlocken konnte. Seit der Umstellung habe ich deshalb auch alle Balkongäste, die ich beobachten konnte, mit Datum in eine Liste aufgenommen und, wenn möglich, mit Belegfotos dokumentiert. Sehr bald habe ich mir aus diesem Grund ein Makroobjektiv zugelegt. Auf der Gästeliste stehen Wildbienen, Wespen, Käfer, Fliegen, Schmetterlinge, Spinnen, Ameisen, Vögel, Heuschrecken, Wanzen und Schnaken. Im Sommer 2017 ist sogar eine Mauereidechse für einige Monate zugewandert.

Anhand der Fotos werden die Tiere mithilfe von Wissenschaftlern und Experten, Bestimmungsforen im Internet und Büchern bestimmt, so weit das mit Bildern überhaupt möglich ist. Einmal muss man vorher schon wissen, welche körperlichen Merkmale die bestimmungsrelevanten sind und dann muss es noch gelingen, diese zu fotografieren. Aber es gibt auch Arten, die sowieso nur unter dem Mikroskop bestimmt werden können, wie zum Beispiel die Ameise Formica fuscocinerea, die bei mir auf dem Balkon lebt und von den Kiesbänken der Alpenflüsse nach München verschleppt wurde. Seit 2013 konnten auf dem Wilden Meter etwa rund 100 Arten dokumentiert und – meistens zumindest bis zur Gattung – bestimmt werden.

Spannende Naturbeobachtungen

Der große Vorteil eines Balkons im Vergleich zum Garten: Die Blumenkästen mit den Pflanzen hängen direkt auf Augen- und Nasenhöhe am Geländer. Sie bieten so die Möglichkeit, blütenbesuchende Insekten beim Sammeln oder Fressen von Pollen und Nektar bequem aus nächster Nähe im Stehen oder Sitzen zu beobachten. Aber auch an den Stängeln ist was los. Marienkäfer- und Schwebfliegenlarven zum Beispiel, gehen auf Blattlausjagd, und verpuppen sich dort, um später als ausgewachsene Insekten zu schlüpfen; Ameisen bewirtschaften mit großer Sorgfalt ihre Blattlauskolonien; Spinnen jagen mit ihren Netzen. Im Sommer beehren uns für etwa sechs bis acht Wochen die bunten Stieglitze. Sie wippen geschwätzig auf den dünnen Stängeln der Kornblumen und futtern die halbreifen Milchsamen, während wir ihnen vom Sofa aus zusehen. Das ist praktische Naturkunde in direkter Wohnumgebung. Der Wildpflanzenbalkon stellt eine Bereicherung meines Alltags dar, die ich nie wieder missen möchte. Zur Geranie führt kein Weg mehr zurück!

Mehr Informationen: www.wildermeter.de
Kontakt: Katharina Heuberger redaktion@wildermeter.de

Katharina Heuberger
„Viefalt im Balkongarten ist Naturkunde auf Augenhöhe. Zur Geranie führt kein Weg zurück!“